Untertitel
Zuschauer staunen, rätseln, sind überrascht
Die Clownin Gardi Hutter bescherte den Zuschauern in der Balinger Stadthalle einen besonderen Abend – es war der Auftakt des Jubiläumsjahr des Fördervereins der ökumenischen Hospizarbeit Balingen.
Balingen - Dieses knuddelige, vor sich hin brabbelnde und spitze Schreie ausstoßende Wesen in seinem Tun zu beobachten macht nicht nur Spaß und löst infantiles Kichern aus. Denn die Zuschauer in der Stadthalle erschrecken sich auch gelegentlich. Sie staunen, rätseln, sind überrascht. Denn jede Sekunde geschieht etwas, das sich nicht so genau einordnen, offenbar völlig sinnfrei ist und Spielraum für die eigene Phantasie lässt
So agieren dürfen nur Clowns
So auf der Bühne agieren dürfen nur Clowns. Und erst recht eine Clownin vom Format einer Gardi Hutter. Das knapp 80 Minuten dauernde, clowneske Theaterstück der Schweizer Künstlerin trägt den Titel "Die Schneiderin". Für dieses Handwerk sind Nadel, Faden, Stoffe, Scheren und Schneiderpuppen unerlässlich. Was sich mit diesen Utensilien aber alles anstellen und Geschichten über das Leben und den Tod erzählen lässt, das kann nur eine Clownin. Denn nur diese kann schon mal probieren, wie es sich anfühlt beim Übertritt. Dann, wenn sie mitten auf ihrem großen Schneidertisch eine Klappe öffnet, verlockend schöne Musik erklingt, es ganz hell wird und Nebel aufsteigen. Nein, noch nicht, entscheidet sie. Und wirft die Klappe mit Karacho wieder zu.
Auf die Bühne gelockt
Das können viele Sterbende nicht, die von den 64 Menschen der ehrenamtlichen Hospizgruppen Balingen und Meßstetten begleitet werden. Seit 20 Jahren unterstützt sie dabei der Förderverein der ökumenischen Hospizarbeit Balingen. Das Clowntheater bildete den Auftakt des Jubiläums. Und es gab viel zu jubeln wie über den Zuschauer, der von der schneidernden Clownin von seinem Sitzplatz auf die Bühne gelockt wurde. Und was passiert?
Nichts, zunächst. Beide rücken sich näher, zappeln ein wenig, schauen, lächeln. Doch plötzlich verschwindet die kugelrunde Clownin im Bühnendunkel und von Band röhrt Joe Cockers Stimme mit "You Can Leave Your Hat On", also einem der bekanntesten Striptease-Songs.
Kugelrunder Bauch, voluminöses Hinterteil
Im Halbdunkel ist zu sehen, dass dies nun auch die Schneiderin versucht – mehr oder weniger lasziv. Denn so einfach lassen sich die Schichten ihrer Kleidung über den kugelrunden Bauch und das voluminöse Hinterteil nicht voreinander trennen. Sie ist so vertieft, dass sie gar nicht merkt, dass sich der Zuschauer auf Zehenspitzen auf und davon macht. Das ist nun wirklich komisch.
Doch andere Szenen sind erschreckend, wie die riesige Schneiderschere oben in den strubbeligen hellen Haaren: die Schere im Kopf? Das assoziiert dieses Bild und es fallen einem viele Beispiele ein, besonders in diesen Zeiten. Doch die Schneiderin verrichtet ihr Tagwerk, als ob nichts geschehen wäre.
Aber woher kommt urplötzlich das schwebende, schwimmende, tanzende, oft höhnisch kichernde, weißgewandete, kugelrunde Gelichter auf einem großen Spiegel? Dieses ist der tapferen, rührigen, fleißigen Schneiderin immer einen kleinen Schritt voraus an Leichtigkeit, Leichtsinn, Frohsinn. Ist das vielleicht deren Alter Ego?
Am Ende "Tabula rasa"
Viel Zeit für Überlegungen bleibt nicht. Eine Rose verliert ihre Blätter, von einem Kleid fallen die Verzierungen ab. Die Zuschauer lachen über die riesigen Nadeln, die die Schneiderin bei jedem Stich stechen und sie so eifrig nadelt, dass sie eine davon verschluckt. Doch im fahrbaren Nähkästchen gibt es einen Magneten, der das Malheur behebt. Und noch manches andere mehr. Die großen Garnrollen sind nämlich nur eine Tarnung für allerlei hochgeistige Getränke. Es lässt sich mit ihnen auch spielen und sprechen. Sie umgarnen die Schneiderin, die am Schluss "Tabula rasa" macht mit ihren geschneiderten Werken- dem Festkleid, Frack, Kinderkleid. Diese sind über Schneiderpuppen gestülpt, schweben an dünnen Fäden auf einer Art Karussell und werden nun heruntergerissen. Das Lebenskarussell steht still. Die knuddelige Clownin lacht.
Zollern-Alb-Kurier, Balingen, Barbara Szymanski 25.03.2022